Historische Stätten der Chemie
Mit dem Programm „Historische Stätten der Chemie“ würdigt die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh)
Leistungen von geschichtlichem Rang in der Chemie. Als Orte der Erinnerung werden
Wirkungsstätten beteiligter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem
feierlichen Akt ausgezeichnet.
Die Wilhelm-Ostwald-Festtage, die vom 1. bis 3.
September [2005] in Leipzig und Großbothen erstmals abgehalten wurden, waren
Anlass, die Wilhelm-Ostwald-Gedenkstätte in den Rang einer „Historischen
Stätte der Chemie“ zu erheben. Höhepunkt der Feierlichkeiten war die
Enthüllung einer Gedenktafel am Haus „Energie“ auf dem Ostwaldschen
Anwesen in Großbothen im Beisein der Sächsischen Staatsministerin für
Wissenschaft und Kunst, Barbara Ludwig, des 1. Vorsitzenden der
Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft zu Großbothen e. V., Prof. Dr. Wladimir
Reschetilowski, sowie der stellvertretenden Präsidentin der GDCh, Prof Dr.
Petra Mischnick.
Der Prorektor der Universität Leipzig, Prof. Dr. Martin Schlegel, hieß die fast
200 geladenen Gäste zu Beginn eines wissenschaftlichen Vortragsprogramms an der
Universität Leipzig willkommen. Mit Grußadressen folgten ihm Prof. Dr.
Uwe-Frithjof Haustein, Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu
Leipzig, der Geschäftsführer der GDCh, Prof. Dr. Wolfram Koch, und der
Geschäftsführer der Deutschen Bunsen-Gesellschaft für Physikalische Chemie,
Dr. Heinz Behret.
Die vormittägliche Vortragsreihe moderierten Prof.
Dr. Helmut Papp, Vorsitzender des GDCh-Ortsverbandes Leipzig, und Prof. Dr.
Rüdiger Szargan, Direktor des Wilhelm-Ostwald Institutes der Universität
Leipzig. Zunächst beleuchtete der Chemiker und Wissenschaftshistoriker Prof Dr.
Horst Remane (MLU Halle-Wittenberg) einen noch wenig beachteten Aspekt in
Ostwalds Schaffen, die Ideen zur Organisation der wissenschaftlichen Arbeit als
Schlüssel zum Fortschritt.
Nach diesem
„Grundlagen-Vortrag" erörterten Priv.-Doz. Dr. Helmut Knoll
(Universität Leipzig) und Prof. Dr. Jens Weitkamp (Universität Stuttgart)
physikalisch-chemische Kernthemen, die im Zentrum von Ostwalds wissenschaftlicher
Arbeit standen. Sie sprachen zur „Reaktivität aus physikalischchemischer
Sicht im Fokus der Nobelpreise" bzw. über „Katalyse-Ein Jahrhundert
nach Wilhelm Ostwald".
Im 40 km entfernten Großbothen wohnten die Teilnehmer
dann gegen Mittag der feierlichen Enthüllung der Gedenktafel bei. Ein
Vokalensemble umrahmte den Festakt musikalisch. Anschließende Führungen durch
die Gedenkstätte machten mit dem Leben und Schaffen Wilhelm Ostwalds vertraut.
Der
folgende Tag, Wilhelm Ostwalds 152. Geburtstag, war Vorträgen und
Veranstaltungen für und mit Schulen vorbehalten. Die Ausstellung
„Zwischen Kunst und Wissenschaft" brachte Gymnasiasten und ihren
Lehrern Ostwalds Farbenforschung näher, wobei sie Unterstützung durch Prof
Dr. Klaus Wetzel (Großbothen) fanden, der in die Inhalte einführte. Prof. Dr.
Wolfgang Oehmes (Universität Leipzig) „Farbvortrag mit Experimenten"
stieß ebenfalls auf großes Interesse.
Priv.-Doz. Dr. Frank-Michael Matysik (Universität Leipzig) bezog in
seiner „Elektrochemischen Experimentalvorlesung" die Schüler mit
ein. Eine Voltaische Säule Marke Eigenbau war sichtbares Zeichen ihres
Engagements. Mit einem Jugendkonzert klang der Tag aus.
Am letzten Tag fand das
80. Großbothener Gespräch statt. Im Rahmen dieser traditionellen
wissenschaftlichen Vortragsreihe trug Dr. Werner Marx (MPI für
Festkörperforschung, Stuttgart) über „Die Nachwirkung der
wissenschaftlichen Arbeiten von Wilhelm Ostwald - Eine bibliometrische
Analyse" vor. Moderiert wurde diese Veranstaltung von Dr. Wolfgang Hönle
(Dresden), dem 2. Vorsitzenden der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft zu Großbothen
e.V.
Heiner Hegewald, Valentina Dimitriadu,
Dresden
Eine
anlässlich dieser Veranstaltung verfasste 15-seitige ausgesprochen gehaltvolle Broschüre
– erschienen in der Reihe „Historische
Stätten der Chemie“ – bringt dem Interessenten das Leben und Wirken des
Nobelpreisträgers Wilhelm Ostwald in kaum zu überbietender Deutlichkeit nahe.
Die Broschüre ist
kostenfrei erhältlich bei
Gesellschaft Deutscher
Chemiker |
Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft
zu Großbothen e.V. Grimmaer
Str. 25 |
Rede der Sächsischen Staatsministerin
für Wissenschaft und Kunst, Barbara Ludwig, anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel
„Historische Stätten der Chemie“ am September 2005 in Großbothen
- Es gilt das gesprochene Wort - Magnifizenz, Sehr geehrter Herr Professor
Reschetilowski, Sehr geehrte Frau Professorin
Mischnick, meine sehr geehrten Damen und Herren, I. „Vergeude keine Energie verwerte sie!“ So lautete das Lebens-Credo des
Mannes, den
wir heute hier gemeinsam ehren wollen. Ein Credo wie
ein energetischer Imperativ, der - vor allem in diesem Jahr –leichtsinnigerweise auch Albert Einstein hätte
zugeschrieben werden könnte. Doch es ist
die Lebensmaxime eines bedeutenden sächsischen Wissenschaftlers, dessen 152.
Geburtstag sich morgen jährt: Wilhelm
Ostwald, Sachsens bisher einziger Nobelpreisträger. Ich freue
mich sehr, dass der Vorstand der Gesellschaft Deutscher Chemiker die Wilhelm-Ostwald-Gedenkstätte
um als „Nr. 5“ in die Liste seines
Programms
„Historische Stätten der Chemie“ in
Deutschland aufgenommen hat. Mit diesem
Programm würdigt die Gesellschaft bedeutende historische Leistungen auf dem
Gebiet der Chemie. Sie ehrt damit in diesem Jahr im Rahmen der
Wilhelm-Ostwald-Festtage die Forschungsergebnisse eines großen
Naturwissenschaftlers, der von 1887 bis 1906 Lehrstuhlinhaber für
Physikalische Chemie an der Universität Leipzig war. Als Mitbegründer dieser Fachrichtung
genoss er Weltruf. Für seine
damaligen Forschungen auf dem Gebiet der Katalyse und seine grundlegenden
Untersuchungen über chemische Gleichgewichtsverhältnisse und Reaktionen wurde
er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Ich will bei
dieser Gelegenheit auch nicht unerwähnt lassen, dass bereits 2004 eine erste
Gedenktafel der Gesellschaft Deutscher Chemiker in Sachsen enthüllt wurde.
Sie wurde als Auszeichnung an das „Alte chemische Institut“ der Technischen
Universität Bergakademie Freiberg für die Forschungen von Clemens
Winkler vergeben. II. Die
Würdigung der Arbeit Wilhelm Ostwalds durch die Gedenktafel der Gesellschaft
Deutscher Chemiker verstehe ich als Auszeichnung und zugleich als
Unterstützung bei dem Bemühen des Freistaates Sachsen, in einer konstruktiven
Partnerschaft mit der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft zu Großbothen dafür Sorge
zu tragen, das Andenken an den sächsischen Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald
in Sachsen ehrenhaft zu bewahren. Ich gestehe,
dass diese Partnerschaft nicht reibungslos ist; doch Reibung erzeugt
bekannterweise auch Energie, und so bin ich heute optimistisch, dass die
Beziehungshürden überwunden sind und die Beziehung eine gute Perspektive hat,
weil die gemeinsamen Ziele im Mittelpunkt stehen. Der Freistaat
Sachsen und die Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft zu Großbothen wollen sich
künftig gemeinsam darum kümmern, 1.
dass die Wilhelm-Ostwald-Gedenkstätte als ein bedeutsamer,
historischer und 2.
zugleich als Ort der Begegnung und Diskussion von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bestehen kann und wird. Dass wir
diese Möglichkeit heute überhaupt haben, verdanken wir vor allem den direkten
Nachfahren Wilhelm Ostwalds, die das Erbe des renommierten Chemikers und den Landsitz
„Energie“ über die Stürme der Zeiten hinweg
bewahrt haben. Ihnen gebührt dafür unser Dank! III. Die
Erfahrungen der jüngsten Zeit haben gezeigt, dass wir heute neue Wege suchen
und finden müssen, damit dieser besondere Ort nicht nur eine Pilgerstätte für
wenige Fachleute ist. Ich wünsche
mir, dass das Leben und Wirken Wilhelm Ostwalds, sein Einfluss auf die
Wissenschaft, viel stärker als bisher in das öffentliche Bewusstsein der
Menschen in unserem Land gerückt werden. Beispielsweise
als Ansporn und Vorbild für unsere jungen Naturwissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler. Deshalb
arbeitet mein Ministerium gemeinsam mit dem Verein an einem Vorschlag zu
einer nachhaltigen Nutzung der Wilhelm-Ostwald-Gedenkstätte zu Großbothen. Dazu wird
der bisherige Leiter der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen, Dr.
Voigtmann, bis Ende des Jahres ein Konzept erarbeiten. Begleitet
wird die Erstellung dieses Konzepts durch eine Arbeitsgruppe, in der
Ich danke schon heute allen für ihr Engagement und ihre Unterstützung und – getreu dem Lebensmotto unseres Nobelpreisträgers Wilhelm Ostwald – für die Energie, mit der wir künftig gemeinsam das Erbe des großen Wissenschaftlers bewahren wollen.
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Rede des 1. Vorsitzenden der
Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft zu Großbothen e.V., Herrn Prof. Dr. W. Reschetilowski,
anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel „Historische Stätten der Chemie“ Sehr geehrte
Frau Staatsministerin Ludwig, sehr geehrte
Frau Prof. Mischnick, liebe
Ehrengäste, liebe
Freunde und Förderer der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft, meine sehr
geehrten Damen und Herren, ich freue
mich, sie alle heute anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel an der langjährigen
Wohn- und Wirkungsstätte des einzigen sächsischen Nobelpreisträgers für
Chemie Wilhelm Ostwald im Namen der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft zu
Großbothen e.V. begrüßen zu dürfen. Noch nie zuvor
waren so viele Menschen auf dem Landsitz „Energie“ bei Ostwald zu Gast, um gemeinsam die in diesem Jahr erstmals
stattfindenden Wilhelm-Ostwald-Festtage zu begehen und künftig zu einer
schönen Tradition werden zu lassen. Dass dieses Kleinod in seiner
Originalität, Einmaligkeit und Schönheit bis heute erhalten geblieben ist,
haben wir vielen Verehrern Ostwalds, allen voran seinen Nachkommen bereits in
der dritten und vierten Generation zu verdanken, von denen ich
stellvertretend Frau Gretel Brauer, Ostwalds Enkelin, auf das Herzlichste
begrüßen darf. Mein Gruß und
Dank gilt auch dem Landrat des Muldentalkreises, Herrn Gey, dem Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und
Baumanagement, dem Liegenschaftsamt, dem Kulturraum, der Universität Leipzig
und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig sowie der Gesellschaft
Deutscher Chemiker, der Deutschen Bunsen-Gesellschaft für Physikalische
Chemie und der DECHEMA e.V. für die über Jahre andauernde materielle und
ideelle Unterstützung der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft bei ihren Bemühungen
um den Erhalt und die Pflege sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung des
Ostwald-Nachlasses. Nicht
zuletzt sei dem Sächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, und
besonders Ihnen, verehrte Frau Staatsministerin, dafür gedankt, dass Sie in
kooperativer Partnerschaft mit der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft bemüht sind,
den Bekanntheitsgrad dieses Ortes so zu erhöhen, dass die jetzige
Bedarfsöffnung der Gedenkstätte als Zwischenlösung bald wieder von einer
dauerhaften Lösung, diesen Ort zu einer denkwürdigen Begegnungsstätte für
jung und alt auszubauen, abgelöst wird. Darin sind wir uns einig! Ein
besonderer Dank gilt heute dem Vorstand der Gesellschaft Deutscher Chemiker,
der auf Antrag von Prof. Offermanns, Mitglied des Kuratoriums unserer Gesellschaft, die Wilhelm-Ostwald-Gedenkstätte
in das Programm „Historische Stätten
der Chemie“
aufgenommen hat. Der GDCh-Geschäftsstelle in Frankfurt am Main sowie den
GDCh-Ortsgruppen in Leipzig und Dresden danke ich für die sehr gute
Zusammenarbeit im Zuge der Vorbereitung der heutigen Veranstaltung. Besonders
herzlich danke ich Herrn Prof. Remane, Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg, Herrn Dr. Knoll, Universität Leipzig und Herrn Prof.
Weitkamp, Universität Stuttgart, für ihre ausgezeichneten Beiträge im Rahmen
des wissenschaftlichen Vortragsprogramms an der Universität Leipzig am
heutigen Vormittag. Mein Dank
gilt auch der Firma Buderus für die Anfertigung der Gedenktafel sowie der
Druckerei Krapp GmbH für die Publikation der Festbroschüre, an deren
Zustandekommen insbesondere die Herren Dr. Hansel, Dr. Hönle, Prof. Kaden und
Prof. Remane maßgebend beteiligt gewesen sind. Nicht zu
vergessen, in meinen Dank einzubeziehen, sind alle freiwilligen Helfer vor Ort,
die dafür Sorge tragen, dass die heutige und nachfolgende Veranstaltungen uns
lange in guter Erinnerung bleiben mögen. Dazu trägt wesentlich auch der
Kammerchor Colditz unter der Leitung von Kantor Peter Bräuer bei. Herzlichen
Dank dafür! Meine sehr
geehrten Damen und Herren, Wilhelm
Ostwald verkörperte einen Gelehrtentyp, von dem man behaupten kann, dass
selbst eine 100-jährige Perspektive der Betrachtung nicht ausreicht, um seine
Bedeutung für die Nachwelt angemessen würdigen zu können. Er war Natur- und
Geisteswissenschaftler zugleich, er war Pädagoge, Wissenschaftsorganisator,
Schriftsteller und Maler. Seine, mit
dem Nobelpreis für Chemie im Jahre 1909 gewürdigte wissenschaftliche
Formulierung der Katalyse war Epoche machend. Seitdem galt das Gebiet der
Katalyse nicht mehr als verdächtig und immer mehr junge Katalytiker wagten
sich in dieses Gebiet, ohne dabei Gefahr zu laufen, wie Ostwald einst meinte,
ihren guten Ruf als Chemiker zu verlieren. Durch
Ostwalds praktisches Handeln, dem alsbald die theoretische Deutung der
katalytischen Phänomene folgte, war der Damm gebrochen: Katalyse wurde zum
Innovationsmotor der chemischen Industrie und gleichzeitig zum nachhaltigen
Bestandteil des großen geistigen Gesamtkapitals der Menschheit. Damit ging
die Vorahnung Ostwalds in Erfüllung, der sich in den Tagen seines Abschieds
vom Flügel der Ewigkeit berührt fühlte. Möge die
Gedenktafel als solches Zeichen verstanden werden und uns in Sachsen, in
Deutschland und in der ganzen Welt an die wissenschaftlich wie menschlich
gewaltige Persönlichkeit Wilhelm Ostwalds erinnern. W. Reschetilowski
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Rede der
Vizepräsidentin der Gesellschaft Deutscher Chemiker, Frau Prof. Dr. Petra
Mischnick, anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel „Historische Stätten der
Chemie“ Mit ihrem Programm "Historische Stätten der
Chemie" - Herr Koch hat es heute morgen vorgestellt - will die
Gesellschaft Deutscher Chemiker mit dafür Sorge tragen, dass wir in einer
immer schnelllebigeren Zeit nicht die Verbindung zu unseren Wurzeln
verlieren. Wenn wir als Kinder in der Schule oder später an
der Universität Naturwissenschaften lernen, dann werden uns in der Regel nur
noch die Früchte der Arbeit früherer Generationen präsentiert. Namen tauchen
durchaus auf, aber es verbindet sich kein Ort, keine Zeit, kein Gesicht
damit. Aber diese Früchte sind die Ernte menschlichen Suchens und Schaffens,
wissenschaftlicher Dispute, dahinter stehen Menschen mit ihrer Neugier und
ihrem Ehrgeiz, mit ihren Ideen und Konzepten, ihren persönlichen Geschichten,
mit ihren Stärken und Schwächen, Engagement und Eitelkeiten. Nur wenn jungen Menschen immer wieder auf's Neue
Wissenschaft in ihren Irrungen und Wirrungen vermittelt wird, wenn die
Dimension Zeit und damit die der Veränderung hineinkommt, kann man das
modell- und prozesshafte erfassen, kann eher motiviert als überwältigt
werden. Durch den Blick auf die Protagonisten und ihre Zeit erst kommen wir
zu einer lebendigen Wissenschaft. Plötzlich haben die Ostwaldsche Stufenregel
oder die Arrhenius-Gleichung ein Gesicht. Es geht ganz und gar nicht um Heldenverehrung. Es
soll nicht der Trugschluss genährt werden, dass große Wissenschaftler, die
etwas von geschichtlichem Rang geschaffen haben, unfehlbar waren. Der Blick
darf ruhig differenzierter sein. Man kann aus Stärken und Schwächen lernen. Wie viele Puzzlesteine gefunden und dann auch noch
richtig zusammengesetzt oder gedacht werden mussten, bis plötzlich einer das
Bild erkennt, das sich abzuzeichnen beginnt, hat Wilhelm Ostwald in seinem
Nobelvortrag 1909 am Beispiel des Katalysebegriffs sehr schön beschrieben. Er
zeigt auf, wie Berzelius die Verwandtschaft von bestimmten chemischen
Prozessen erkannt und für das beobachtete, aber noch nicht erklärbare
Phänomen, 1835 den Begriff Katalyse geprägt hat. Die Entwicklung eines
rationalen Konzepts zur Katalyse war jedoch abhängig von einem Konzept zur
Reaktionsgeschwindigkeit, zuerst formuliert von dem deutschen Amateurforscher
Wilhelmy, und zwar - zufällig - am Beispiel eines katalytischen Prozesses,
nämlich der Rohrzuckerinversion. Ostwald war es, wie er selbst sagt,
vergönnt, diese beiden Konzepte - Katalyse und chemische
Reaktionsgeschwindigkeit, miteinander zu verknüpfen und damit den Durchbruch
zu schaffen und ein ganz neues Verständnis der Katalyse zu eröffnen. Ohnehin zeichnet Ostwald, über dessen
wissenschaftliche Verdienste ja heute schon vieles gesagt worden ist, das
weite Interesse über sein Fachgebiet hinaus aus. Er hat Wissenschaft auch als
soziale Kategorie begriffen und einen engen Zusammenhang von Fortschritt der
Wissenschaft und der Menschheit formuliert, hat grundlagenorientiertes
Forschen immer im Zusammenhang mit späterer praktischer Anwendung und
ökonomischem Nutzen gesehen, aber auch erkannt, dass das zweite nicht ohne
das erste zu haben ist. Wir wollen heute die Erinnerung an einen
Wissenschaftler festigen, der sich intensiv mit der Wechselwirkung
experimenteller und theoretischer Arbeit befasst hat. Konzepte, Ordnungssysteme, Standardisierung,
Sprache, Verbindung von Wissenschaft und Kunst, Naturphilosophie, auch in
Auseinandersetzung mit der Kirche, all dies hat ihn umgetrieben. - Ja,
vielleicht war er besessen von einem Ordnungsdrang. Er sagte von sich:
"Auf neuen Gebieten... Ordnung zu schaffen, war meine Sonderbegabung und
meine persönliche Leidenschaft, der ich mich hingab." Wir ehren heute mit Wilhelm Ostwald einen
Wissenschaftler, der immer das Große Ganze im Blick hatte, der die
Schwerpunkte seiner Aktivitäten immer wieder neu verorten konnte. Er sagte: "Die generelle oder philosophische Seite der
Wissenschaft hat mich von Anfang an interessiert. Als ich um 1880 ein erstes
Schema zur Systematisierung des damals noch chaotischen Begriffs allgemeiner
Chemie entwarf, wusste ich mir nicht besser zu helfen, als zu versuchen,
gleichzeitig ein universelles System aller Wissenschaften zu
formulieren." Und daran knüpft er später auch wieder an mit
seiner Idee von "der Kohärenz der Welt", die man vereinfacht
übersetzen könnte mit: Alles hängt mit allem zusammen. Wir würdigen mit Wilhelm Ostwald einen
internationalen Botschafter - nicht immer nur im positiven Sinne, wenn man an
die Irritationen denkt, die er bei seinen schwedischen Freunden während des
1. Weltkriegs hervorrief. - Aber, sein vorrangiges Ziel der Verständigung
kommt in einer regen Vortragstätigkeit im In- und Ausland zur Weltsprachenproblematik,
zu Bildungs- und philosophischen Fragen zum Ausdruck, wie auch in seiner Mitgliedschaft
in zahlreichen deutschen und ausländischen Wissenschaftsakademien. Wenn man sich die lange Liste Ostwaldscher
Aktivitäten anschaut, gewinnt man das Bild eines Konzeptentwicklers und
Systematisierers, eines ideenreichen Gründers, der stark war im Beginnen wie
in der Durchführung. Die Herausgabe von "Ostwalds Klassiker der
exakten Naturwissenschaften" ab 1889 sind ein weiteres Beispiel für sein
Engagement für die Verbreitung von Wissenschaft, "um", laut
Ostwald, "den Mangel an Kenntnis jener großen Arbeiten, auf welchen das
Gebäude der Wissenschaft ruht, abzuhelfen", Werke abendländischer Kultur
und Grundlage moderner Forschung, von denen ja zahlreiche wieder in
Nachdrucken erhältlich sind. Die Wilhelm-Ostwald-Gedenkstätte und die Arbeit der
Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft hier in Großbothen können im Sinne der
Ostwaldschen Anliegen weiterhin einen wichtigen Beitrag leisten. Insofern
kann man nur begrüßen, dass nun ein attraktives Zukunftskonzept für die
Gedenkstätte entwickelt werden soll, ginge die zuerst beschlossene
Einstellung der Unterstützung durch das Sächsische Ministerium für
Wissenschaft und Kunst doch wie so vieles, genau in die falsche Richtung. Die
zwangsläufige Schließung für den Besucherverkehr liefe all dem, was hier
heute gefeiert und beschworen wird, zuwider. Die Enthüllung der Gedenktafel ist ein symbolischer
Akt. Was dem folgen müsste, sind Aktivitäten im Ostwaldschen Sinne: z.B. eine
Experimentierwerkstatt für Kinder einrichten, einen Treffpunkt für den
wissenschaftlichen Diskurs junger Leute schaffen, um Wissenschaft, ihre
Geschichte und ihre Protagonisten vor ihrer Zeit wieder lebendig werden zu
lassen. Während bei uns im Jahr der Chemie eher Liebig, 50
Jahre älter als Ostwald, im Mittelpunkt stand, ist Ostwald in seiner
Geburtsstadt Riga 2003 zu seinem 150. Geburtstag mit einem Gedenkstein geehrt
worden. Und der Präsident der Lettischen Akademie der Wissenschaften (Janis
Stradins) hat damals in seiner Ehrung gesagt. "Wir wünschen, dass
Deutschland eine Lehre davon nimmt und dass Deuschland auch ein solches
Denkmal baut, das wäre sehr wichtig!" Nun, dazu haben wir uns heute hier versammelt und
ich möchte nun die Gedenktafel enthüllen. Petra Mischnick Vizepräsidentin der Gesellschaft Deutscher Chemiker
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Ministerin Barbara
Ludwig und Professor Reschetilowski verabreden konstruktive Partnerschaft für
Gedenken an Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald – Konzept bis Ende der
Jahres
Wir
werden künftig in einer konstruktiven Partnerschaft gemeinsam dafür Sorge
tragen, dass das Andenken an Wilhelm Ostwald, den einzigen sächsischen
Nobelpreisträger, würdig bewahrt wird.“ Dies erklärten die Sächsische
Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Barbara Ludwig, und Professor
Reschetilowski, neu gewählter 1. Vorsitzender der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft
zu Großbothen, nach einem Gespräch zu Beginn der Sommerpause.
Das Ministerium arbeitet mit Unterstützung des Vereins intensiv an einem
Vorschlag zur nachhaltigen Nutzung der Wilhelm-Ostwald-Gedenkstätte in
Großbothen. Dazu wird Dr. Joachim Voigtmann, bisheriger Leiter der Sächsischen
Landesstelle für Museumswesen, bis Ende des Jahres ein Konzept vorlegen.
Begleitet wird die Erstellung des Konzeptes durch eine Arbeitsgruppe, die
bereits im Juni 2005 ihre Arbeit aufgenommen hat. Hierin vertreten: die
Universität Leipzig, die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, der
Landkreis Muldental, die Sächsische Hochschule für Grafik und Buchkunst
Leipzig, der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft zu Großbothen, Dr. Joachim Voigtmann,
der Sächsische Staatsbetrieb Immobilien- und Baumanagement und das Sächsische
Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst.
Anlässlich der Wilhelm-Ostwald-Festtage wird Staatsministerin Barbara Ludwig am
1. September 2005, einen Tag vor dem 152. Geburtstag des Nobelpreisträgers,
eine Gedenktafel „Historische Stätten der Chemie“ auf seinem
Landsitz „Energie“ in Großbothen enthüllen, mit der die
Gesellschaft Deutscher Chemiker renommierte Wissenschaftler und ihre
Wirkungsstätten ehrt und in Erinnerung ruft.
Die Gedenkstätte wird ab September 2005 zunächst zeitweise wieder zu bestimmten
Öffnungszeiten und nach Anmeldung für die Öffentlichkeit zugänglich sein.
Wilhelm Ostwald, am 2. September 1853 in Riga geboren, studierte Chemie in
Dorpat und lehrte von 1887 bis 1906 physikalische Chemie an der Universität
Leipzig. Als Mitbegründer dieser Fachrichtung genoss er Weltruf. Die
Wissenschaft verdankt ihm eine Reihe von bedeutsamen Entdeckungen auf diesem
Gebiet.
1909 erhielt er den Nobelpreis für Chemie für seine Forschungen auf dem Gebiet
der Katalyse und seine grundlegenden Untersuchungen über chemische
Gleichge¬wichtsverhältnisse und Reaktionsgeschwindigkeiten.
Er war verheiratet mit Helene von Reyher und Vater von zwei Töchtern und drei
Söhnen. Er starb am 4. April 1932 in Leipzig. Seine Urne wurde auf seinem
Landsitz „Energie“ in Großbothen in einem aufgelassenen Steinbruch
beigesetzt.
Der Freistaat hatte Ende 2004 seine Finanzierung der Gedenkstätte aus Gründen
der Haushaltsdisziplin um 50 000 Euro kürzen müssen, diese Lücke soll ab 2006
aus anderen Quellen geschlossen werden.
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