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Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft e.V.

 

"Gute Theorie muß alsbald zur Praxis führen. Man kann ihren Wert geradezu daran ermessen."
     Wilhelm Ostwald, aus: Labor und Arbeitshefte vom 17.01.1911

Energie. Aufbruch zu einem neuen Energieverständnis (Walter Gille)

Besprechung  (Jan-Peter Domschke, unter Verwendung von Materialien von Friedrich Reinhard Schmidt)                        

Gille, Walter:  Energie. Aufbruch zu einem neuen  Energieverständnis.                                                                     

Verlag: Books on Demand; 1. Auflage: (16. Sept. 2014)
Taschenbuch: 88 S. - ISBN: 978-3-7357-8195-6

Der Schweizer Autor befasst sich nach eigener Aussage seit drei Jahrzehnten mit der Thematik „Energie“. Er  ist Mitautor folgender Bücher:
 ·       mit Ilona Geissbühler: Dreimal tief Luft holen. Ozonloch, Treibhauseffekt, Sommersmog. 1995
 ·       Marktgerechte Umweltpolitik, mit Ilona Geissbühler. 1995
 ·       mit Maja Messmer: Energie, Schlüsselgröße unserer Zeit (Grundlehrmittel) 1997
 ·       mit Maja Messmer: Energie, Schlüsselgröße unserer Zeit (Handbuch für Lehrkräfte) 1999    

Walter Gille unterrichtete als Berufsschullehrer naturwissenschaftliche und mathematische Fächer und war in der Lehrerweiterbildung tätig. Für den fächerübergreifenden Unterricht entwickelte der Verfasser eine systemische Didaktik, worin die „Energie“, verbunden mit kulturwissenschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Fragen, im Mittelpunkt steht. 

Walter Gille schreibt ein in gleicher Weise für die Naturwissenschaften, als auch für philosophische Überlegungen interessantes Werk. Seine Aussagen sind vornehmlich an Lehrer gerichtet (S. 12), um das Bewusstsein der Schüler für die seit Jahren bestehenden Energieprobleme zu schärfen. Die Verbindung zu philosophischen Überlegungen ist vor allem dort unübersehbar, wo der Autor sich mit den aktuellen Fragen der Energieressourcen und des Energieverbrauchs beschäftigt. Vor allem im Bezug auf Robert Mayers Verdienste und dessen Denkweise bezieht er sich auf Demokrit, Aristoteles, Francis Bacon, René Descartes und Gottfried Wilhelm Leibniz. Obwohl Wilhelm Ostwald nur einmal im Zusammenhang mit Robert Mayer erwähnt wird (S. 50), gehört das vorliegende Buch zu den wenigen, die ihm in der Geisteshaltung nahe kommen. Das Kapitel (S. 67ff.) über die Verwandtschaft von Friedrich Nietzsches „Wiederkunftsideen“ mit denen Robert Mayers ist allerdings entbehrlich. Sehr hilfreich für die Lektüre ist die Unterscheidung der Kapitel in die Kriterien „gesellschaftlich-kulturell“, „naturwissenschaftlich-technisch“ und „pädagogisch-didak­tisch“ (S. 11). Man muss also nicht unbedingt das ganze Buch lesen, wenn man sich nur über bestimmte Aspekte informieren will. 

Walter Gille schreibt im Untertitel des Buches: „In Verehrung Robert Mayers - des Entdeckers des Prinzips der Energieerhaltung - und seines Werks aus Anlass seines 200. Geburtstages“. Warum dieses Jubiläum im Jahre 2014 in Deutschland sang- und klanglos vorbeiging, lässt sich kaum verstehen. An den von der DEFA 1955 produzierten Spielfilm „Robert Mayer – Der Arzt aus Heilbronn“ werden sich sicher noch einige erinnern. Über weite Strecken geht der Autor auf das Leben, die Leistungen, die Widerstände, Wirkungen und Nachwirkungen des Heilbronner Arztes ein. Mehrfach erinnert Walter Gille an die Aussage von Eugen Dühring, dass Mayer ein „Galilei des 19. Jahrhunderts“ gewesen sei. Walter Gille versteht seine Würdigung nicht nur als Hommage an Robert Mayer, sondern auch als Plädoyer für ein modernes Energieverständnis, das, an den Wissenschaftler anknüpfend, die zivilisatorischen, kulturellen und wissenschaftsgeschichtlichen Hintergründe des energetischen Geschehens in die Betrachtung einbezieht. Der Autor ist bestrebt, für die „Energie“ ein „zeit- und problembewusstes Energieverständnis“ (S. 9) dadurch zu erreichen, dass er sie als Sammel- und Überbegriff für die fünf Energieformen und die zwei Energiezustände betrachtet. Außerdem sei mit dem Begriff „Energie“ ein assoziatives und auch suggestives Sprachbild verbunden, in dem objektive Zusammenhänge, gegenseitige Abhängigkeiten, Erscheinungen und subjektive Wahrnehmungen in einem Netzwerk verknüpft wären. Darauf stütze sich das Hintergrundwissen über die Funktionalität unseres Energiesystems. Was zugleich bedeute, dass Energie nicht mehr nur als „Naturgut“, sondern auch als „Kulturgut“ verstanden werden müsse. (S. 10). Auf Seite 21 stellt der Verfasser modellhaft ein „Energiesystem“ vor, das in sich das natürliche und das zivilisatorische (technische) vereinigt. Das ganze System stelle die „Energienation Erde“ dar, die einzelnen Systeme die „Energiestaaten“. Das technische System werde von den Menschen regiert. Das „Energieproblem“ ist nach seiner Meinung ein Ressourcenproblem (S. 8f.). Konsumierte Energie werde zum „Energieabfall“ (S. 9), deshalb wendet sich Walter Gille gegen einen „dogmatisch interpretierten Energieerhaltungssatz“, denn konsumierte Energie sei für immer verloren (S. 12). Aus diesem Grunde nennt Walter Gille auch ein Kapitel „Die Mär von der Energieerhaltung“ (S. 57ff.). Die nachfolgenden Ausführungen zum offenen und zum geschlossenen System dürften allerdings nur noch für Naturwissenschaftler, nicht aber für Laien interessant sein. Der Autor resümiert: „In Negation des herkömmlichen Energiesatzes lässt sich, wenn es sein muss, ein Energiesatz zum Hausgebrauch etwa so formulieren: Energie, die wir konsumieren, steht uns für einen nochmaligen Konsum nicht mehr zur Verfügung.“ Walter Gille verwendet im Interesse der Verständlichkeit auch mehrfach Analogien. Das eingesetzte Gleichnis von Postpaket und Energiepaket (S. 54f.) ist aber gerade aus diesem Grunde überarbeitungsbedürftig.

Das Literaturverzeichnis ist im Bezug zur Thematik zum Teil wenig hilfreich. Zum Leben und Wirken von Robert Mayer gibt es inzwischen zahlreiche fundierte Darstellungen, sodass man nicht auf den selbstgefälligen Vielschreiber, umstrittenen Antisemiten und Erfinder der „Wirklichkeitsphilosophie“, Eugen Dühring, zurückgreifen muss. Obwohl Salomo Friedlaender/Mynona 1905 über Robert Mayer ein Buch publizierte, so war sein Wirkungsfeld meist die literarische Avantgarde. Er schrieb vor allem in expressionistischen Zeitschriften und war Mitbegründer des „Stirner-Bundes“. Leider fehlt ein Verweis auf das Schicksal von Albert Neuburger und seiner Familie. Albert Neuburger hatte Chemie studiert und zur experimentellen Chemie promoviert. Seit 1894 war er Redakteur der „Elektrochemischen Zeitschrift“, später bis zur Einstellung 1922 ihr alleiniger Herausgeber. Der Wissenschaftler publizierte im Ullstein-Verlag Beiträge populärwissenschaftlichen Inhalts über technisch-wissenschaftliche Zusammenhänge und feierte den Fortschritt der Naturwissenschaften und würdigte die Wissenschaftler. Nach 1933 waren Albert Neuburger und seine Familie wegen ihrer jüdischen Herkunft immer schärferen Verfolgungen ausgesetzt. Im Januar 1943 wurden er und seine Frau nach Theresienstadt deportiert. Der 76-jährige Albert Neuburger starb dort am 5. März 1943; seine 67-jährige Frau Minna wurde am 31. März 1943 für tot erklärt. Für das Anliegen von Walter Gille besitzen die neueren Arbeiten von Nicholas Georgescu-Roegen, Hermann Scheer und Friedrich Reinhard Schmidt größere Bedeutung.
Große Bedeutung misst Walter Gille dem von ihm entwickelten „Kohärenzsystem der Energie“ (FKSE) zu, mit dem die Fundamentalgröße „Energie“ im funktionalen Gesamtzusammenhang betrachtet werden könne. Im FKSE wird das „Prinzip von der funktionellen Konstanz“ der Energiewandlungen mit vier Eigenschaften der Energie verdeutlicht.

1. Wandlungsprinzip der Energie
Energie kann in fünf Formen der Wandlung oder Speicherung unterliegen. Die Summe der Energieformen ist konstant.

2. Entwertung der Energie (Entropiezunahme)
Die bei Wandlungsprozessen entstehende Wärme ist für eine weitere Nutzung verloren

3. Reziprozität der Energie
Die Transport- und Lagerfähigkeit der Energieformen verhalte sich reziprok zueinander.

4. Nutzbarkeit der Energie (Konsumierbarkeit)
Diese Eigenschaft ist selektiv und limitiert. (S 83f.)

(Die graphische Darstellung des FKSE kann unter http://www.technik-didaktik.ch im A 4 - Format als PDF Datei heruntergeladen werden.)