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Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft e.V.

Und eine vertiefte Kenntnis der Vergangenheit wird es uns dann erleichtern,
den Weg in die Zukunft ohne allzu große Irrungen zu finden

W. Ostwald, Entwicklung der Elektrochemie..., 1910, S. 208

 

  • Das Jahr 1922

    Neben seinen praktischen Arbeiten zum Farbenatlas begann Wilhelm Ostwald am Ende des Jahres 1921, an einer „Harmonielehre“ für Farben zu arbeiten. Die von ihm behauptete Farbensystematik und Farbenharmonieauffassung vermischte Wilhelm Ostwald allerdings häufig mit seinen eigenen künstlerischen Idealen nach dem Leitsatz: „Gesetz ist Schönheit“. Die Entdeckung der Harmonie, die für ihn in seiner Farbordnung selbst begründet lag, schilderte er in den „Lebenslinien“ mit den Worten: „(Es) war mir unter den Händen Schönheit entstanden, wie dem Chemiker, in dessen Schale unversehens entzückende Kristalle anschießen“ (Band III, S. 410) Wilhelm Ostwald stellte Farbkombinationen vor, die vom Betrachter als schön und harmonisch empfunden werden sollten und bezeichnete sie als notwendige Ergänzungen und logische Konsequenz zu seiner wissenschaftlichen Farbenlehre. Von seinen Untersuchungen über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft und Kunst als Vorläufer jeder Wissenschaft, nahm er an, dass er damit die Kunst bereichern und das Kunstverständnis der Allgemeinheit heben könne. In einer Beilage für die in Wien erscheinende „Neue Freie Presse“ schrieb er am 25. September 1927: „Durch die Kenntnis der Harmoniegesetze für Farbe und Form, über welche wir jetzt verfügen, können wir Gebilde von unvorstellbarer Schönheit erwarten, wenn nur ein Künstler von gestaltungskräftiger Phantasie sich dieser neuen und gewaltigen Mittel zu bemächtigen weiß – nachdem jene technische Voraussetzung erfüllt ist.“

  • Leseprobe

    Wilhelm Ostwald: Lebenslinien, Band III, S. 426 ff

    Die Harmonie der Formen. Im Winter 1921/22 gab ich mich völlig der neuen Arbeit hin. Ich beschleunigte die Ausreifung der Grundgesetze durch eine überdurchschnittliche Willensanstrengung, da mir daran lag, recht bald die Sache so weit in Ordnung zu bringen, dass ich gesicherte Unterlagen für meine farbharmonischen Studien hatte. Meine ordnungswissenschaftlichen Vorarbeiten kamen mir hierbei wieder zustatten und ermöglichten eine ziemlich schnelle erste Gesamtübersicht mit genügender Ausarbeitung der Einzelfälle. Der Gedankengang war folgender. Was ist das allgemeine Kennzeichen des Gesetzes? Antwort: die Wiederholung. Wieder war ich zuerst etwas verblüfft über diese bestimmte Antwort, aber ich konnte mich bald überzeugen, dass sie richtig und erschöpfend ist. … Also besteht auch die Gesetzlichkeit und somit die Harmonie der Form in der Wiederholung, gleich oder ähnlich. Oder strenggenommen: mehr oder weniger ähnlich. Denn genau gleich sind niemals zwei Dinge unserer Welt; zumindest sind sie nach Zeit und Raum verschieden. Welche Arten der Wiederholung gibt es? Antwort: drei Arten, nämlich Schiebung, Drehung und Spiegelung. Auf diese drei Grundvorgänge lassen sich alle Einzelfälle zurückführen. Hierbei kann man die einzuhaltende Gesetzlichkeit von der strengsten bis zur freiesten abstufen. Geschichtlich erweist sich, dass die strengen Formen, deren Gesetzlichkeit die einfachste ist, zuerst auftreten, und dass die freieren und mannigfaltigeren Formen erscheinen, wenn die einfachen Reize verbraucht sind. Hat die Entwicklung in solchem Sinne eine gewisse Höhe erreicht, so tritt leicht der Irrtum auf, dass die Gesetzlichkeit überhaupt entbehrlich sei und der Künstler nur in unbedingter Freiheit oder Gesetzlosigkeit gedeihen könne. Es ist lehrreich und erheiternd zu beobachten, wie solche Auswüchse eines unwissenschaftlichen Wollens (denn von Denken ist ja hier nicht die Rede) sich alsbald überschlagen und dann von einer Welle abgelöst werden, in welcher die strenge Gesetzlichkeit wieder ganz in den Vordergrund gestellt wird. Die Lehre von den gesetzlichen oder schönen Formen fasste ich dann in einem kleinen Buche: Die Harmonie der Formen zusammen, welches 1922 erschien. Die große Summe neuer Erkenntnisse, welche es enthielt, wirkte so verblüffend auf die Vertreter der bisherigen „Kunstwissenschaft“, dass soweit meine Kenntnis geht, keiner sich getraut hat, diesem unheimlichen Gebilde näher zu treten. Die sehr wenigen Äußerungen, welche die Fachblätter dazu brachten, waren von der Art, die Goethe kennzeichnet: 

    Sie sagen: es spricht nicht mich an, Und meinen, sie hätten es abgetan.