Zwischen 1914 und 1932 beschäftigte sich Wilhelm Ostwald sehr intensiv mit den Grundlagen einer umfassenden Lehre von den Farben aus ordnungswissenschaftlicher, physikalischer, chemischer, psychologischer und physiologischer Sicht. Die einzelnen Schritte seines Erkenntnisprozesses hat Wilhelm Ostwald in einer Vielzahl von Publikationen zu methodologischen, physikalischen, chemischen und psychologischen Gesichtspunkten der Farbenlehre beschrieben.
Dazu entwickelte er experimentelle Methoden zur messenden Farbenlehre, um ihre wissenschaftliche Grundlegung zu verbessern. Für ihn als Naturwissenschaftler kann nur unterschieden, bestimmt und geordnet werden, was analysiert, gemessen und zahlenmäßig eindeutig bezeichnet werden kann. Ausgehend von seiner Annahme, dass der Mensch nur über energetische Beziehungen Erfahrungen von seiner Umwelt gewinnt, teilte er den Prozess des Farbenerkennens in zwei Abschnitte, einen physikalischen, der die Reflexion des Lichtes von der betrachteten Oberfläche bis zum Auftreffen auf die Netzhaut des Auges umfasst und einen physiologischen für den Weiterleitung des Reizes zum Gehirn und das Entstehen der Farbempfindung.
Wilhelm Ostwald entwickelte auch eine Harmonielehre, indem er Farbkombinationen ermittelte, die vom Betrachter als harmonisch empfunden werden. Er erkannte, dass sich Spektral- und Körperfarben physikalisch unterscheiden. Die Spektralfarben, Ostwald nannte sie Primärfarben, werden von einer Wellenlänge oder einem sehr engen Wellenlängenbereich hervorgerufen. In ihnen sind Purpur, Schwarz oder Grau nicht vorhanden, sondern nur Bunt und Weiß. Die Körperfarben sind hingegen Ergebnis der Reflektion breiter Wellenlängenbereiche und wurden von ihm als Sekundärfarben bezeichnet. Wird das Licht vollständig reflektiert, erscheinen sie weiß, ohne Reflektion schwarz. Wenn alle Wellenlängen im gleichen Umfang reflektiert werden, empfindet man den Gegenstand als grau, bei unterschiedlicher Reflektion folgt ein buntes Bild.
Die Farben Schwarz und Weiß sind neben der Vollfarbe für Wilhelm Ostwald unabdingbare Elemente einer Farbensystematik. Darauf aufbauend stellte er einen 24-teiligen Farbkreis mit drei Gelbs, drei Oranges, drei Rots, drei Violetts, drei Ultramarinblaus, drei Eisblaus, drei Seegrüns und drei Laubgrüns her. Die Farbtöne sind mit Gelb beginnend fortlaufend nummeriert und mit deutschstämmigen Namen, wie Kreß und Veil benannt. Für die Darstellung der drei Elemente Weiß, Schwarz und Vollfarbe wählte Wilhelm Ostwald das farbtongleiche Dreieck, in dem für einen bestimmten Farbton die drei Elemente jeweils eine Ecke einnehmen. Die von Weiß zur Vollfarbe laufenden Reihen nannte Wilhelm Ostwald Schwarzgleiche, die von Schwarz zur Vollfarbe laufenden Reihen Weißgleiche. In den Reihen, die parallel zur Graureihe verlaufen, bleibt das Verhältnis des Schwarz- zum Weißanteil konstant.
Um die Anwendung seiner Farbenlehre in der Praxis zu erleichtern, entwickelte Wilhelm Ostwald eine größere Zahl von unterschiedlichen Farbkörpern. Die große „Farborgel“ im Wilhelm Ostwald Museum in Großbothen besteht aus 2.520 ausgemessenen Buntfarben, einer Grauachse mit 15 Stufen und 105 Farben in jedem farbtongleichen Dreieck. Für die Praxis genügten aber nach Wilhelm Ostwalds Ansicht 28 Farben pro Dreieck und eine achtstufige Grauleiter. Daraus entstand eine „Farborgel“ mit 680 Farben. Die farbtongleichen Dreiecke ordnete Wilhelm Ostwald auch zu einem Farbkörper in Gestalt eines Doppelkegels mit der oberen Spitze Weiß und der unteren Spitze Schwarz, am Äquator sind die Vollfarben angeordnet. Die Lage einer beliebigen Farbe wurde von ihm durch die Nummer der Vollfarbe und zwei Buchstaben für den Schwarz- und Weißanteil bestimmt. Als Hilfsmittel entstanden u. a. der Farbnormenatlas, Farbtonleitern, Ausfärbungen auf Wolle, Baumwolle, Seide und Leder und Farbenübersichten für spezielle Zwecke. Farbenkegel
Wilhelm Ostwald unterstützte die Gründung von „Werkstellen“, die sich der Weiterentwicklung der Farbenlehre und der Lösung von Anwendungsproblemen widmen sollten. Er gründete 1920 die „Energie-Werke“ in Großbothen zur Herstellung und zum Vertrieb von Lehrmitteln und Farbenerzeugnissen, in der Inflationszeit mussten sie aber schließen.
Als Wilhelm Ostwald nach dem Ersten Weltkrieg der Öffentlichkeit seine Farbenlehre vorstellte, kam es allerdings zwischen ihm und einigen Vertretern der akademischen Kunstmaler und Kunsthistoriker zu Konflikten. Seine Gegner organisierten 1921 eine deutschlandweite „Verwahrung“ gegen Wilhelm Ostwalds Bestrebungen zur Farbennormung. Das preußische Kulturministerium verbot 1925 die Anwendung von „Ostwald-Farben“ an den Schulen. Anwendungen
Eine bibliographische Übersicht bietet das Sonderheft 7 der Mitteilungen der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft von 1999.